Türkische Gemeinde redet mit
sich selbst
Türkische Gemeinde in
Deutschland lud zu einer Fachtagung, erhielt dafür
staatliche Unterstützungsgelder - und
veranstaltete dann einfach ihre
Bundesdelegiertenkonferenz.
Abkassieren ist kein Einzelfall
Aus Berlin Ali YILDIRIM - taz 30.01.1998
Nicht überall, wo
Antirassismus draufsteht, ist auch Antirassismus
drin. Mit einer Mogelpackung versuchte die
Türkische Gemeinde in Deutschland, ihre erste
Bundesdelegiertenkonferenz seit der Gründung im
Dezember 1995 mittels öffentlicher Gelder zu
finanzieren. Gemeinsam mit der
Auslandsgesellschaft Nordrhein-Westfalen e.V., die
15.000 Mark der Kosten übernehmen sollte, lud sie
für den 23. bis 25. Januar zu der Tagung
"Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und
Gewalt - Ursachen, Auswirkungen und Gefahren" in
das Arbeitnehmerzentrum Königswinter ein.
Neben Vorträgen des
außenpolitischen Sprechers der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion, Karl Lamers, sowie des
nordrhein-westfälischen Arbeits- und
Sozialministers Axel Horstmann standen mehrere
Arbeitsgruppen auf dem Programm. Eines der Themen:
"Türkische Jugendliche und Gegenwehr gegen
Rassismus und Türkenfeindlichkeit".
Kein Interessierter aus dem
angesprochenen Teilnehmerkreis - Journalisten,
Politiker und andere Multiplikatoren - meldete
sich nach Auskunft des Fachbereichsleiters für
internationale Politik, Martin Loberg, bei der
Auslandsgesellschaft. Erfolgreicher mobilisierte
die Türkische Gemeinde. 124 Delegierte der 13
Mitgliedsorganisationen mit über 150 Vereinen aus
der ganzen Republik reisten an. Sie folgten damit
einem türkischsprachigen Rundschreiben vom 21.
Dezember 1997, in dem der Bundesvorsitzende der
Türkischen Gemeinde in Deutschland, Hakki Keskin,
nicht zum Seminar eingeladen hatte, sondern ganz
unverblümt zur eigenen Bundesdelegiertenkonferenz.
Hakki Keskin, der am 25.
Januar von den "Seminar"-Teilnehmern in seinem Amt
bestätigte Bundesvorsitzende der Türkischen
Gemeinde, streitet den Versuch der Veruntreuung
öffentlicher Gelder ab. "Die
Bundesdelegiertenkonferenz sollte nur am Rande des
Seminars stattfinden. Dikussion und Wahl des
Bundesvorsitzenden, seiner Stellvertreter, des
Pressesprechers und des vierzehnköpfigen
Bundesvorstandes hat aber dann überraschenderweise
mehr Zeit als geplant in Anspruch genommen." Diese
Erklärung Keskins steht allerdings im Widerspruch
zu seiner Einladung vom 21. Dezember. Darin waren
für die Referate von Lamers und Horstmann und
Grußworten unter anderem des türkischen
Botschafters in Bonn, Volkan Vural, gerade vier
Stunden vorgesehen. Der Rest der drei Tage war
für die Vereinsgeschäfte vorgesehen - in
türkischer Sprache.
Die Türkische Gemeinde hat
Glück im Unglück. Bislang hatte sie noch keine
Chance, Geld zu veruntreuen. Nachdem die
Auslandsgesellschaft Nordrhein- Westfalen durch
Nachfrage der Presse von der Mogelpackung erfahren
hatte, zog sie am vergangenen Montag die zugesagte
Finanzierung in Höhe von 15.000 Mark zurück.
Gestern dann machte sie auch noch die bereits in
Aussicht gestellte Mitfinanzierung eines Seminars
zum Thema "Die gesellschaftliche Funktion des
Rassismus" rückgängig. Der Ort des Seminars:
Extertal. Der Zeitpunkt: 6. bis 8. Februar. Das
nächste Treffen des Bundesvorstandes der
Türkischen Gemeinde findet just an diesen Tagen am
gleichen Ort statt.
Kommentar Seite 12:
Die Türkische Gemeinde
wollte Staatsknete zweckentfremden
So deutsch wie die Deutschen
Skandal, Skandal? Lassen wir
die Kirche im Dorf und bremsen den Schaum
pharisäerhafter Empörung. Der Versuch der
Türkischen Gemeinde in Deutschland, Staatsknete
abzuzocken, ist vor allem ein Zeichen gelungener
Integration, ein Beweis, daß sie versiert mit dem
Vereinsrecht, Finanzierungsmodellen und
Förderprogrammen jonglieren kann und die
Zuwanderer zu (fast) ganz normalen Deutschen
geworden sind. Auch hätte sich der finanzielle
Schaden, wäre der Coup denn geglückt, im unteren
Bereich der landesüblichen Tricksereien bewegt.
Man könnte durchaus schnell
zur Tagesordnung übergehen, drängte sich nicht die
Erkenntnis auf, daß sich mit der Formel
"Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und
Gewalt" viele Türen, besser: Kassen öffnen lassen,
allerlei Blödsinn rechtfertigen läßt. Sie sich
hervorragend dazu eignet, Eigeninteressen
gegenüber sich schuldig fühlenden Deutschen
durchzusetzen. Gleichzeitig muß sich die Türkische
Gemeinde, die für sich in Anspruch nimmt, den
Großteil der hier lebenden Türken zu
repräsentieren, einige Fragen gefallen lassen. Hat
sie es wirklich nötig, wegen ein paar tausend Mark
den guten Ruf zu ruinieren? Oder ist die
Organisation gar nicht so mitgliederstark wie
behauptet, sondern nichts anderes als eine
pausbäckige Inszenierung ein paar cleverer Macher,
die sich mehr Repräsentanz anmaßen, als ihnen in
Wirklichkeit zukommt?
Die Einzelheiten rund um den
"Finanzskandal" legen darüber hinaus nahe, daß man
die deutschsprachige Öffentlichkeit vor allem als
nützliche Idioten begreift, die man bestenfalls
mit Viertelinformationen versorgt, um sie dann
problemlos zu instrumentalisieren. Anders lassen
sich der deutschsprachige Schein und das
türkischsprachige Sein der Ankündigungen des
"Seminars" beziehungsweise der
Bundesdelegiertenkonferenz nicht interpretieren.
Diese Doppelzüngigkeit ist leider kein Einzelfall.
Es wäre an der Zeit für mehr Transparenz und
Offenheit in beide (Sprach-) Richtungen. Die
Türkische Gemeinde müßte eigentlich inzwischen
bemerkt haben, daß die Zeiten des
Die-werden-es-schon-nicht-mitkriegen vorbei sind.
Sollte hinter dem
dilettantischen Abzockversuch allerdings die
schiere Verzweiflung einer
Minderheitenorganisation stehen, die ihre durchaus
wichtige Vereinsarbeit nicht anders zu finanzieren
weiß, dann ist das ein Thema, über das offensiv
politisch zu debattieren wäre. In türkischer und
in deutscher Sprache.
Eberhard Seidel-Pielen
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T980130.171 TAZ Nr. 5445 Seite 12 vom 30.01.1998
50 Zeilen von Kommentar Eberhard Seidel-Pielen
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